von Jana Wessel

Geliebter Feind: Die E-Mail

Wie viele neue E-Mails warten in Ihrem Postfach darauf, geöffnet zu werden, wenn Sie aus Ihrem wohlverdienten zweiwöchigen Urlaub wieder im Büro sind? 100, 500 oder gar mehr als 1.000? Wie viele es auch immer sein mögen, jedenfalls sinkt Ihr Erholungswert nach einer längeren Pause relativ schnell gegen Null, wenn Sie den PC im Büro wieder einschalten müssen. Sie könnten zwar alle Mails bequem löschen und den ersten Arbeitstag gleichsam wie mit dem Drücken der Reset-Taste frei von Altlasten beginnen. Aber: In jeder zehnten Mail, die Sie löschen würden, sind wichtige Informationen enthalten, die damit verloren gingen. Steht der enorme zeitliche Aufwand, die wichtigen von unwichtigen Informationen zu trennen, aber noch im richtigen Verhältnis? Nein, sagen die E-Mail-Gegner und führen plausible Gründe dafür an, warum sie die E-Mail lieber heute als morgen abschaffen würden. Dennoch ist ein Ende der E-Mail, 28 Jahre nach dem Versand der ersten elektronischen Post in Deutschland nicht in Sicht, im Gegenteil! Die E-Mail ist so beliebt und gleichzeitig gehasst wie nie zuvor.

„E-Mail macht dumm, arm und krank“, so der provozierende Titel eines neuen Buchs zum Thema E-Mail-Wahnsinn. VW hat bereits reagiert und den Versand von Mails auf Diensthandys wenigstens nach Feierabend eingeschränkt. Der IT-Dienstleister Atos geht sogar soweit, bei der internen Kommunikation ganz auf E-Mails zu verzichten. Thierry Breton, ehemaliger Finanzminister von Frankreich und nun Vorstandsvorsitzender von Atos, kämpft vehement für seine „Zero Mail Policy“ und will spätestens 2014 die interne Mailkommunikation der mehr als 70.000 Mitarbeiter in 42 Ländern abschaffen. Mails schreiben hält Breton für reine Zeitverschwendung. Die Menschen sollen wieder mehr zum Telefon greifen und das persönliche Gespräch suchen. Neu ist eine solche Idee nicht. Mit einem "Zero-E-Mail-Friday" hatten schon Intel und einige andere Konzerne vor Jahren experimentiert. Doch anders als bei Atos, zielte diese Maßnahme bei vielen US-Unternehmen nicht auf die Abschaffung der E-Mail, sondern vielmehr darauf, das persönliche Gespräch wieder stärker in das Zentrum der Kommunikation zu stellen. Warum zwei Ingenieure, die nur einen Schreibtisch voneinander entfernt sitzen, sich Mails schreiben müssen, statt miteinander zu reden, war Intel-Chef Paul Otellini schon immer rätselhaft.

Die Kritiker der E-Mailunkultur machen aber auch eine andere Rechnung auf: Die E-Mail ist ein Produktivitätskiller. Informationen müssen gesichtet, priorisiert, archiviert und auf wichtige Fragen schließlich reagiert werden. Dieser Prozess kostet Zeit, Geld und nicht zuletzt den Angestellten viel Nerven. Denn die täglich zu bewältigende Flut an E-Mails steigt und mit ihr die sinnlose Beschäftigung mit unnützen, nicht relevanten Informationen. Aber allen berechtigten Einwänden gegen die E-Mail zum Trotz: Kaum ein Nutzer würde auf die elektronische Post verzichten wollen. Das US-Beratungsunternehmen Radicati Group hat kürzlich mitgeteilt, dass sich die Zahl der E-Mail-Konten von derzeit weltweit 3,2 Milliarden auf knapp vier Milliarden in 2015 erhöhen wird. Als Grund hierfür führen die Berater an, dass mit der Zunahme von Smartphones und neuen Cloud-Angeboten auch die Zahl der Mailkonten steigen wird.

Es gibt durchaus effizientere Alternativen zur E-Mail. Atos betont die Vorteile der Kommunikation über Soziale Netzwerke, Collaboration-Plattformen oder Instant Messaging-Anwendungen innerhalb geschlossener Benutzergruppen. Allerdings zielen solche Überlegungen nur auf die internen Kommunikationsprozesse ab. Bei weltweit mehr als 70.000 Mitarbeitern lohnt es sich, über Alternativen zur zeitraubenden E-Mail-Kommunikation nachzudenken und die Informationsüberflutung wenigstens ein Stück weit einzudämmen. Doch die externe Kommunikation ohne E-Mail ist und bleibt auch bei Atos und anderen Unternehmen nicht praktikabel.

Worauf sich Gegner und Befürworter der E-Mail aber verständigen können: In vielen Situationen sind das klassische Telefon und erst recht das persönliche Gespräch die bessere Wahl des Kommunikationsmittels – zumal, wenn man sich im Büro gegenübersitzt.

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